Eheverfehlung und Scheidungsfolgen: Zur Bedeutung der OGH-Entscheidung 4 Ob 46/24m für die Verschuldensscheidung nach § 49 EheG
Einleitung
Die Verschuldensscheidung nach § 49 EheG ist in der familienrechtlichen Praxis regelmäßig von besonderer Relevanz, wenn sich Ehegatten in einem streitigen Scheidungsverfahren gegenübereinander schwere Vorwürfe machen. Dabei steht die Frage im Vordergrund, welches Verhalten als Eheverfehlung zu werten ist, ob dieses die unheilbare Zerrüttung der Ehe kausal beeinflusst hat und welchen Einfluss dies auf Scheidungsfolgen, insbesondere auf Unterhaltsansprüche gem. § 66 EheG, hat. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) vom 22.01.2024, 4 Ob 46/24m, bietet Gelegenheit, diese Grundsätze neu zu beleuchten.
Sachverhalt und Anlassfall
In der zugrunde liegenden Entscheidung begehrte die Ehefrau die Scheidung gem. § 49 EheG unter Berufung auf mehrere Eheverfehlungen des Ehemanns, insbesondere außereheliche Affären und emotionale Vernachlässigung. Der Ehemann bestritt ein Verschulden und wies auf Verfehlungen der Ehefrau hin. Das Erstgericht sprach die Scheidung aus und erkannte der Ehefrau einen verschuldensabhängigen Unterhalt zu. Die Berufungsinstanz bestätigte die Entscheidung. Der Ehemann erhob außerordentliche Revision an den OGH.
Entscheidung des OGH
Der OGH wies die Revision zurück und betonte, dass die Feststellung des überwiegenden Verschuldens typischerweise keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründet[1]. Eine Revision sei daher nur bei krasser Fehlbeurteilung zulässig, die hier nicht vorliege. Die Tatsacheninstanzen hätten nachvollziehbar festgestellt, dass die vom Ehemann gesetzten Eheverfehlungen – in ihrer Kumulation – zur Zerrüttung der Ehe geführt und das alleinige Verschulden begründet hätten.
- Eheverfehlung ohne Zerrüttungsfolge – Wann ist das Verhalten bedeutungslos?
- Dogmatische Grundlagen
Gemäß § 49 EheG muss die Eheverfehlung kausal für die unheilbare Zerrüttung der Ehe gewesen sein. Es genügt nicht, dass ein objektives Fehlverhalten vorliegt – maßgeblich ist, ob dieses subjektiv vorwerfbar war und den Ehebruch bzw. die Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft tatsächlich mitverursacht hat[2].
- Fallgruppen aus der Rechtsprechung
- a) Bereits zerrüttete Ehe
Eine Eheverfehlung, die erst nachdem die Ehe bereits zerrüttet war erfolgt, kann keinen kausalen Beitrag mehr leisten. Der OGH hat dies etwa in 1 Ob 34/18s und 1 Ob 122/02t ausdrücklich betont. - b) Reaktive Verhaltensweisen
Weiters anerkennt der OGH, dass „reaktive“ Handlungen in psychisch belasteten Ehen mildernd oder entschuldigend wirken können. Dies gilt etwa für lautes Streiten, verbale Entgleisungen oder Rückzug bei Provokationen (vgl. 3 Ob 78/13h). - c) Fehlende Vorwerfbarkeit
Schließlich liegt keine relevante Eheverfehlung vor, wenn dem Ehegatten keine subjektive Vorwerfbarkeit angelastet werden kann – etwa bei psychischen Erkrankungen oder Suchtverhalten. - Rechtliche Konsequenz
In all diesen Fällen fehlt es entweder an Kausalität oder an Verschulden. Damit sind solche Verhaltensweisen für § 49 EheG unbeachtlich.
Bedeutung für Unterhaltsfragen
Die Feststellung des Verschuldens hat unmittelbare Relevanz für die zivilrechtliche Auseinandersetzung, insbesondere den Ehegattenunterhalt. Gem. § 66 EheG entfällt der Unterhaltsanspruch bei Allein- oder Überwiegensverschulden. Nur wenn eine Eheverfehlung kausal und schuldhaft war, kann sie zu einem dauerhaften Ausschluss des Anspruchs führen. In der Entscheidung wurde der Ehefrau der Unterhalt explizit wegen schuldhafter Zerrüttung durch den Ehemann zugesprochen – ein klassischer Anwendungsfall der Verschuldenskonsequenz.
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