Das Urteil des Obersten Gerichtshofs (OGH) vom 26. April 2024 (6 Ob 105/23v) behandelt die Frage, inwieweit der sogenannte „Wohnvorteil“ des Unterhaltspflichtigen bei der Bemessung des Kindesunterhalts berücksichtigt werden muss. Die Entscheidung befasst sich insbesondere mit der Problematik, ob und wie eine nicht durch Kredite belastete Wohnmöglichkeit, die dem Unterhaltspflichtigen zur Verfügung steht, dessen Leistungsfähigkeit erhöht und somit Einfluss auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage haben sollte.
Sachverhalt
Im Zentrum des Falles steht ein selbstständiger Unternehmer und Vater, der das Eigentum an einer Liegenschaft von seiner Mutter ohne finanzielle Lasten übertragen bekommen hat. Auf dieser Liegenschaft befindet sich sowohl seine Wohnung als auch der Standort seines Metallbaubetriebs. Aufgrund der Wohnmöglichkeit argumentierte der Antragsteller, dass der Vater einen wirtschaftlichen Vorteil durch ersparte Mietkosten habe, welcher in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einfließen sollte. Dieser Vorteil sollte durch einen fiktiven Mietwert von monatlich 1.500 EUR berücksichtigt werden. Der Vater entgegnete, dass die Liegenschaft mit Hypotheken belastet sei und diese Belastungen den Wohnvorteil kompensieren würden. Zudem seien Kredite für betriebliche Zwecke aufgenommen worden, was ebenfalls zu berücksichtigen sei.
Rechtliche Erwägungen
Wohnvorteil und Unterhaltsbemessung
Der OGH bekräftigte in seiner Entscheidung, dass die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen durch den Wohnvorteil, der sich aus dem Besitz einer unbelasteten Wohnimmobilie ergibt, grundsätzlich erhöht wird. Dieser Vorteil entsteht dadurch, dass der Unterhaltspflichtige keine oder nur geringere Wohnkosten zu tragen hat, was seine finanziellen Mittel für andere Zwecke erhöht. Der OGH folgte dabei der bisherigen Rechtsprechung, wonach solche Wohnvorteile bei der Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage zu berücksichtigen sind, jedoch nicht in vollem Umfang, sondern angepasst an eine fiktive Miete, die für eine angemessene, kleinere Wohnung zu zahlen wäre.
Abgrenzung zu früheren Entscheidungen
Die Entscheidung bezieht sich auf eine Reihe früherer Urteile, in denen ähnliche Sachverhalte behandelt wurden. Der OGH führte aus, dass der Wohnvorteil insbesondere dann berücksichtigt werden muss, wenn der Unterhaltspflichtige die Immobilie ohne wesentliche eigene Leistungen, etwa durch Schenkung oder Erbschaft, erworben hat. Auch die jüngere Judikatur, die die Verminderung des Unterhaltsbedarfs beim Unterhaltsberechtigten bei eigener Wohnversorgung anerkannt hat, sei ein Argument dafür, auch auf Seiten des Unterhaltspflichtigen Wohnvorteile nicht unberücksichtigt zu lassen.
Spezifische Berücksichtigung im vorliegenden Fall
Im vorliegenden Fall stellte der OGH fest, dass die Übergabe der Liegenschaft an den Vater nicht mit einer entsprechenden finanziellen Belastung verbunden war und somit der wirtschaftliche Vorteil durch ersparte Mietkosten bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen ist. Allerdings sei dieser Vorteil nicht in vollem Umfang zu veranschlagen, sondern es sei eine Reduktion um die hypothetischen Erhaltungskosten vorzunehmen. Diese Anpassung soll verhindern, dass der Unterhaltspflichtige unangemessen belastet wird.
Das Urteil des OGH stellt eine konsistente Fortführung der bisherigen Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Wohnvorteilen bei der Unterhaltsbemessung dar. Es verdeutlicht, dass solche Vorteile nicht nur auf Seiten des Unterhaltsberechtigten, sondern auch auf Seiten des Unterhaltspflichtigen in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sind. Dabei ist jedoch stets eine einzelfallabhängige Betrachtung notwendig, um den tatsächlichen wirtschaftlichen Vorteil angemessen zu bewerten und eine gerechte Unterhaltsregelung zu gewährleisten.
Der OGH hat in diesem Urteil klar Stellung bezogen, dass der wirtschaftliche Vorteil aus einer unbelasteten Wohnmöglichkeit die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen erhöht und somit zu einer Erhöhung des zu leistenden Unterhalts führen kann. Gleichzeitig wird betont, dass bestehende betriebliche Kredite nur dann mindernd berücksichtigt werden dürfen, wenn sie zur Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Existenz des Unterhaltspflichtigen notwendig sind.
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